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Schwerpunktthema: Kartoffel





       toffeln werden hauptsächlich in Niedersachen   traditionellen Herb-
       und Bayern, oft auf Moorstandorten, für die   steinkäufe mit Ein-
       Stärkeproduktion angebaut und machen     kellerung sind nahe-
       17 % des Verbrauchs aus. Dazu gehört auch   zu  komplett  ver-
       in geringerem Umfang die Herstellung von   schwunden und fin-
       Branntwein und Trockenfuttermitteln.     den  sich  allenfalls
                                                noch im Direktab-
       Kartoffelstärke wird bei der Herstellung von   satz und in der
       Ernährungserzeugnissen (Convenience-Pro-  Selbstversorgung.
       dukten wie Suppen, Soßenbinder, Pudding),
       z. T. auch in modifizierter Form, eingesetzt.   Der Rückgang des
       Im industriellen Bereich dient Kartoffelstärke   Kartoffelanbaus in
       zur Herstellung von Papier und Pappe, von   Deutschland und
       Klebstoffen und Bindemitteln, im Textilbe-  die Konzentration
       reich für Wäschestärke, im pharmazeutischen   auf wenige speziali-
       Bereich als Grundstoff für Präparate. Sogar   sierte Betriebe wur-
       im Kunststoffsektor findet sie Verwendung.   de auch durch die Natur des Kartoffelanbaus   Abb. 1: Essen in Deutschland;
       Dort wird Kartoffelstärke als natürliche Poly-  beschleunigt, die durch witterungsbedingte   Quelle: AMI
       mer-Stärke eingesetzt. Pflanzkartoffeln um-  Schwankungen der Flächenerträge und damit
       fassen 8 % des Verbrauchs, Energie (Biogas)   auch der Erntemengen gekennzeichnet ist.
       und Futterkartoffeln dienen mit 5 % nur noch   Da sich die Speisekartoffelpreise frei am
       der Resteverwertung.                     Markt bilden und es nie preisstabilisierende
                                                Eingriffe über EU-Marktordnungen gab,
       Die Verwendung von Kartoffeln für die    übertrafen die Preisschwankungen bei Kar-
       menschliche Ernährung hat sich in den letz-  toffeln bei weitem die der anderen Feldfrüch-
       ten 100 Jahre grundlegend gewandelt. Im Jahr   te. Kartoffeln waren deshalb immer eine ar-
       1900 wurden durch die deutsche Bevölkerung   beitsintensive und hochspekulative Frucht
       mit 271 kg/Kopf und Jahr noch fast fünfmal   mit hohem Ertrags- und noch höherem Preis-
       so  viele  Kartoffeln  gegessen wie heute  (56   risiko. Dies dürfte sicherlich viele Erzeuger
       kg/Kopf). Damals bestand die Ernährung   bewogen haben, den Kartoffelbau einzustel-
       überwiegend aus Milchprodukten, Kartoffeln   len. Der Kartoffelanbau wird heutzutage in
       und Brot, was sicherlich auch der körperlich   allen Verwertungsrichtungen in immer größe-
       schwereren Arbeit in Landwirtschaft, Indust-  rem Maße vertraglich abgesichert, um bei den
       rie, Bergbau und Handwerk geschuldet war.   hohen Produktionskosten das Preisrisiko tra-
       In der Nachkriegszeit lag der Kartoffelver-  gen zu können. Hinzu kommen produktions-
       brauch noch bei rund 200 kg/Kopf und Jahr.  technische Maßnahmen, wie etwa die Bewäs-
                                                serung, um bei den zunehmenden sommerli-
       Der seither rückläufige Verbrauch von Spei-  chen Trockenperioden die notwendige Er-
       sekartoffeln als Grundnahrungsmittel hängt   tragssicherheit zu gewährleisten.
       mit dem zunehmenden verfügbaren Einkom-
       men, dem steigenden Lebensstandard und
       dem geringeren Kalorienbedarf zusammen.     Erstaunlich ist, dass auch schon vor über 100 Jahren im damaligen deutschen Reich ein
       Gleichzeitig mit dem starken Rückgang des   hoher Anteil der Ernährung auf tierischen Produkten basierte. Milch und Milchprodukte lagen
       Verbrauchs an unverarbeiteten Speisekartof-  bei 93 %, Fleisch bei 66 % des heutigen Pro-Kopf-Verbrauchs. In den 1930er und nach dem
       feln nahm der Anteil „veredelter“ Kartoffel-  Krieg in den 1950er Jahren lag der deutsche Fleischverbrauch bei 55 kg pro Kopf und Jahr,
       produkte deutlich zu. Inzwischen macht die-  was nur 20 % unter dem heutigen Wert lag. Die aus Ernährungssicht und zur Klimarettung
       ser rund 2/3 des Verbrauchs aus.          derzeit geforderte Reduzierung des Fleischverbrauchs auf den früheren „Sonntagsbraten“
                                                 verkennt, dass dies eher der Verklärung der „guten alten Zeit“ als der damaligen Realität
                                                 entspricht. Vergessen wird bei der Betrachtung nämlich, dass an den anderen Wochentagen
       Frische Speisekartoffeln haben damit ihre Be-  (außer freitags in den katholischen Gegenden) sehr wohl tierische Produkte in Form von
       deutung als Grundnahrungsmittel nahezu    Speck, Wurst, Köpfen, Füßen, Schwänzen und Innereien gegessen wurden.
       gänzlich verloren und zunehmend den Cha-  Der heutzutage stattdessen proklamierte stärkere Verzehr von Obst und Gemüse ignoriert,
       rakter von Gemüse. Sie werden im Lebensmit-  dass bei Selbstversorgungsgraden von 20 - 30 % in Deutschland jedes zusätzliche eingekauf-
       teleinzelhandel (LEH) ganzjährig fast nur noch   te Kilogramm Obst oder Gemüse über weite Strecken importiert werden muss und das Klima
       gewaschen, gebürstet und mit ansprechender   entsprechend belastet. Heimische Frischkartoffeln sind leider nicht „en vogue“, stünden Obst
       äußerer Qualität in Kleingebinden angeboten.   und Gemüse in Punkto Vitamin- und Proteingehalt, sowie Proteinqualität jedoch in nichts
       Sie sind so für den baldigen Verzehr bestimmt   nach und haben mit ihrer hohen Flächenproduktivität die beste Klimabilanz aller pflanzlichen
       und eignen sich nicht für die Lagerung. Die   Nahrungsmittel.


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