Page 11 - E-paper Landinfo 1_2024
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Schwerpunktthema: Kartoffel
toffeln werden hauptsächlich in Niedersachen traditionellen Herb-
und Bayern, oft auf Moorstandorten, für die steinkäufe mit Ein-
Stärkeproduktion angebaut und machen kellerung sind nahe-
17 % des Verbrauchs aus. Dazu gehört auch zu komplett ver-
in geringerem Umfang die Herstellung von schwunden und fin-
Branntwein und Trockenfuttermitteln. den sich allenfalls
noch im Direktab-
Kartoffelstärke wird bei der Herstellung von satz und in der
Ernährungserzeugnissen (Convenience-Pro- Selbstversorgung.
dukten wie Suppen, Soßenbinder, Pudding),
z. T. auch in modifizierter Form, eingesetzt. Der Rückgang des
Im industriellen Bereich dient Kartoffelstärke Kartoffelanbaus in
zur Herstellung von Papier und Pappe, von Deutschland und
Klebstoffen und Bindemitteln, im Textilbe- die Konzentration
reich für Wäschestärke, im pharmazeutischen auf wenige speziali-
Bereich als Grundstoff für Präparate. Sogar sierte Betriebe wur-
im Kunststoffsektor findet sie Verwendung. de auch durch die Natur des Kartoffelanbaus Abb. 1: Essen in Deutschland;
Dort wird Kartoffelstärke als natürliche Poly- beschleunigt, die durch witterungsbedingte Quelle: AMI
mer-Stärke eingesetzt. Pflanzkartoffeln um- Schwankungen der Flächenerträge und damit
fassen 8 % des Verbrauchs, Energie (Biogas) auch der Erntemengen gekennzeichnet ist.
und Futterkartoffeln dienen mit 5 % nur noch Da sich die Speisekartoffelpreise frei am
der Resteverwertung. Markt bilden und es nie preisstabilisierende
Eingriffe über EU-Marktordnungen gab,
Die Verwendung von Kartoffeln für die übertrafen die Preisschwankungen bei Kar-
menschliche Ernährung hat sich in den letz- toffeln bei weitem die der anderen Feldfrüch-
ten 100 Jahre grundlegend gewandelt. Im Jahr te. Kartoffeln waren deshalb immer eine ar-
1900 wurden durch die deutsche Bevölkerung beitsintensive und hochspekulative Frucht
mit 271 kg/Kopf und Jahr noch fast fünfmal mit hohem Ertrags- und noch höherem Preis-
so viele Kartoffeln gegessen wie heute (56 risiko. Dies dürfte sicherlich viele Erzeuger
kg/Kopf). Damals bestand die Ernährung bewogen haben, den Kartoffelbau einzustel-
überwiegend aus Milchprodukten, Kartoffeln len. Der Kartoffelanbau wird heutzutage in
und Brot, was sicherlich auch der körperlich allen Verwertungsrichtungen in immer größe-
schwereren Arbeit in Landwirtschaft, Indust- rem Maße vertraglich abgesichert, um bei den
rie, Bergbau und Handwerk geschuldet war. hohen Produktionskosten das Preisrisiko tra-
In der Nachkriegszeit lag der Kartoffelver- gen zu können. Hinzu kommen produktions-
brauch noch bei rund 200 kg/Kopf und Jahr. technische Maßnahmen, wie etwa die Bewäs-
serung, um bei den zunehmenden sommerli-
Der seither rückläufige Verbrauch von Spei- chen Trockenperioden die notwendige Er-
sekartoffeln als Grundnahrungsmittel hängt tragssicherheit zu gewährleisten.
mit dem zunehmenden verfügbaren Einkom-
men, dem steigenden Lebensstandard und
dem geringeren Kalorienbedarf zusammen. Erstaunlich ist, dass auch schon vor über 100 Jahren im damaligen deutschen Reich ein
Gleichzeitig mit dem starken Rückgang des hoher Anteil der Ernährung auf tierischen Produkten basierte. Milch und Milchprodukte lagen
Verbrauchs an unverarbeiteten Speisekartof- bei 93 %, Fleisch bei 66 % des heutigen Pro-Kopf-Verbrauchs. In den 1930er und nach dem
feln nahm der Anteil „veredelter“ Kartoffel- Krieg in den 1950er Jahren lag der deutsche Fleischverbrauch bei 55 kg pro Kopf und Jahr,
produkte deutlich zu. Inzwischen macht die- was nur 20 % unter dem heutigen Wert lag. Die aus Ernährungssicht und zur Klimarettung
ser rund 2/3 des Verbrauchs aus. derzeit geforderte Reduzierung des Fleischverbrauchs auf den früheren „Sonntagsbraten“
verkennt, dass dies eher der Verklärung der „guten alten Zeit“ als der damaligen Realität
entspricht. Vergessen wird bei der Betrachtung nämlich, dass an den anderen Wochentagen
Frische Speisekartoffeln haben damit ihre Be- (außer freitags in den katholischen Gegenden) sehr wohl tierische Produkte in Form von
deutung als Grundnahrungsmittel nahezu Speck, Wurst, Köpfen, Füßen, Schwänzen und Innereien gegessen wurden.
gänzlich verloren und zunehmend den Cha- Der heutzutage stattdessen proklamierte stärkere Verzehr von Obst und Gemüse ignoriert,
rakter von Gemüse. Sie werden im Lebensmit- dass bei Selbstversorgungsgraden von 20 - 30 % in Deutschland jedes zusätzliche eingekauf-
teleinzelhandel (LEH) ganzjährig fast nur noch te Kilogramm Obst oder Gemüse über weite Strecken importiert werden muss und das Klima
gewaschen, gebürstet und mit ansprechender entsprechend belastet. Heimische Frischkartoffeln sind leider nicht „en vogue“, stünden Obst
äußerer Qualität in Kleingebinden angeboten. und Gemüse in Punkto Vitamin- und Proteingehalt, sowie Proteinqualität jedoch in nichts
Sie sind so für den baldigen Verzehr bestimmt nach und haben mit ihrer hohen Flächenproduktivität die beste Klimabilanz aller pflanzlichen
und eignen sich nicht für die Lagerung. Die Nahrungsmittel.
Landinfo 1 | 2024 11