Page 18 - Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019
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Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019
Kanadische Studien zeigen, dass die meisten Finden sich Verbündete in der Breite der Ge-
Verbraucher nur zwischen 1 und 10 % mehr sellschaft? Bio lebt davon, dass viele gesell-
bezahlen würden als für den Marktstandard schaftliche Meinungsführer (Journalisten,
(CRANFIELD & MAGNUSSON, 2003). Lehrer, Ärzte, Köche etc.) hinter dieser Pro-
Treffen diese Ergebnisse auch für Deutsch- duktionsform stehen. Überzeugt das neue
land zu? Und wenn ja, kann diese Zahlungs- Konzept wenigstens partiell oder wird es als
bereitschaft ausreichen, um die produktions- unglaubwürdig „zerrissen“?
technischen Nachteile auszugleichen? Oder
kann sie durch innovative Marketingkonzepte Verstehen die Verbraucher einen weiteren
erhöht werden? neuen Claim für nachhaltige Lebensmittel?
Studien zeigen, dass die Verwirrung durch die
Ist ein mittleres Segment für den Lebensmit- mehr als 150 Nachhaltigkeitslabel (labelon-
telhandel und die Verarbeitungsindustrie inte- line.de) auf dem deutschen Markt groß ist (V.
ressant? Es ist aus Forschungsarbeiten zum MEYER-HÖFER et al., 2015; für die USA
Labelling bekannt, dass der Einzelhandel als MCFADDEN & HUFFMAN, 2017 sowie
Promotor für den Erfolg mindestens ebenso KUCHLER et al., 2018). Eine US-Studie
wichtig ist wie die Verbrauchernachfrage. Nur zeigt, wie sehr es auf den richtigen Begriff
wenn der Handel in die Vorlage geht und sich ankommt: Bienen-freundlich wurde sehr po-
dann Angebot und Nachfrage gegenseitig sitiv bewertet, Neonicotinoid-frei führte so-
verstärken, erreicht ein Label den Massen- gar zu einer verringerten Zahlungsbereit-
markt. schaft, da offensichtlich nicht verstanden
(WOLLAEGER et al., 2015).
Wie groß ist die Konkurrenz durch ähnlich
positionierte Anbausysteme, die nicht gänz- Risiken einer cPSM-freien Produktion könn-
lich auf cPSM verzichten? Hier steht derzeit ten schließlich in der Stigmatisierung des
besonders der Glyphosat-freie Anbau in der Pflanzenschutzes liegen. Es gibt in der For-
Diskussion, der für Landwirte leichter um- schung Hinweise darauf, dass die Einführung
setzbar ist als ein kompletter Verzicht auf eines neuen Nachhaltigkeitssegments die
cPSM (BÖCKER et al., 2019). Einige große Zahlungsbereitschaft für das konventionelle
Handelsunternehmen sowie Verarbeiter (z. B. Standardsegment verringert (BAZOCHE et
Molkereien) fördern „Glyphosat-freie“ Le- al., 2014). Allerdings ist ein solcher Effekt
bensmittel. Der Markterfolg ist noch unklar. durch die weitgehend flächendeckende Ein-
führung von Bioprodukten ohnehin bereits
Auf Verbraucherseite gilt es, geeignete Ziel- eingetreten. Möglicherweise kann dann eine
gruppen zu identifizieren und gezielt anzu- Zwischenform im Markt Stigmatisierungsef-
sprechen. Nach dem Stand der Forschung fekte eher verringern. Auch dies wollen wir in
sind folgende Personen besonders an der Re- Studien prüfen.
duktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes
interessiert (GOVINDASAMY et al., 2001):
Fazit:
Das Thema chemisch-synthetischer Pflan-
Merkmale der Zielgruppe für Produkte ohne cPSM zenschutz ist ein Dauerbrenner der Umwelt-
(nach Govindasamy et al., 2001)
debatte. Der problematische Verlauf der
Glyphosat-Debatte verweist auf die Notwen-
Frauen
digkeit, hier innovative Wege zu erproben, um
Babies oder Kleinkinder im Haushalt so etwas wie einen Neuen Gesellschaftsver-
trag für eine Landwirtschaft der Zukunft in
Höheres Einkommen
Deutschland zu finden. Relativ sicher ist, dass
Höher gebildet das Marketing für Lebensmittel weiter an
Prof. Dr. Achim Spiller Jünger Vielfalt gewinnen wird. Ob sich dabei ein
Georg-August-Universität neues Marktsegment für Agrarprodukte ohne
Göttingen Umweltbewusstsein chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel,
37073 Göttingen Gesundheitsbewusstsein die nicht Öko sind, herausbilden könnte, ist
Tel. 0551 / 39-26241 Interesse an Lebensmitteln und Ernährung für Deutschland noch offen und soll in dem
a.spiller@agr.uni- neuen Forschungsprojekt erprobt werden.
goettingen.de Literaturverzeichnis
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