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Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019
Prof. Dr. Achim Spiller, Dr. Sina Nitzko
Welchen Mehrwert haben Agrarprodukte ohne cPSM,
die dennoch nicht öko sind?
Pflanzenschutzmittel als Dauerbrenner der Umweltdiskussion
Rachel Carlsons prominentes Buch „Silent Spring“ bildete 1962 den Startpunkt der modernen
landwirtschaftlichen Umweltschutzdiskussion. Vom Bild der durch Pflanzenschutzmittel
sterbenden Insekten und Singvögel, „der stumme Frühling“, ging eine große imaginäre Kraft in der
Diskussion aus. Es wirkt bis heute nach. Die aktuelle Diskussion um das Bienensterben ist in
gewisser Weise „Silent Spring 2.0“. Glyphosat ist heute in den Augen der Bürger in etwa das, was
DDT in den 1960er Jahren war.
ie Debatte um chemische Pflanzen- Bio genannt als „ohne Kunstdünger“ (V. AL-
Dschutzmittel (cPSM) hat also eine lange VENSLEBEN & BRUHN, 2001; BERNARD
Tradition. Für die Menschen ist diese Debatte & BERNARD, 2010). Der Verzicht auf
eng verknüpft mit der generellen Diskussion cPSM ist neben dem Tierschutz Kernelement
um Kosten und Nutzen der Chemieindustrie, der Biolandwirtschaft.
wie sie sich auch in anderen wiederkehrenden
Debatten, wie z. B. um Plastikverpackungen, Studien zeigen weiterhin: Chemisch-syntheti-
zeigt. Es gibt offensichtlich „Dauerbrenner“ sche Pflanzenschutzmittel erzeugen wesent-
der Umweltdebatte, die immer wieder auf- lich größere Ängste als die synthetische Dün-
kommen und so etwas wie Modezyklen gung. Die Sorge vor Rückständen koppelt
durchleben. Es ist daher nicht verwunderlich, sich hier mit umwelt- und naturschutzpoliti-
dass viele verschiedene Bevölkerungsbefra- schen Motiven. Ergebnisse des nationalen
gungen und wissenschaftliche Studien immer Rückstandsmonitorings, wonach sich in den
wieder auf die Besorgnis der Menschen ge- meisten Kulturen nur relativ selten Rückstän-
genüber cPSM hinweisen (FLORAX et al., de oberhalb der gesetzlichen Schwellenwerte Quelle: https://en.
2005; HWANG et al., 2005; DRESSEL et al., nachweisen lassen, finden in einer sensibili- wikipedia.org/wiki/
2010). sierten Öffentlichkeit wenig Gehör. Silent_Spring
Bio als Profiteur der Warum gibt es kein Marktsegment
Pflanzenschutzdiskussion zwischen Bio und Konventionell?
Während also die mediale Aufmerksamkeit Seit den 1960er Jahren hat es erste Versuche
des Themas Höhen und Tiefen durchläuft, ist gegeben, ein Marktsegment zwischen Bio
die Besorgnis der Bürger relativ konstant und Konventionell unter dem Begriff „Inte-
hoch, wenn auch nicht immer gleich präsent. grierter Anbau“ (integrated pest manage-
Am Markt hat bisher hauptsächlich der Bio- ment/IPM) zu etablieren. Studien zeigen,
landbau von diesen Pflanzenschutzmittelbe- dass es damit gelingen kann, den Pflanzen-
denken profitiert. Er verzichtet auf cPSM, schutzmitteleinsatz zu reduzieren und Rück-
aber nicht auf Pflanzenschutzmittel, letzteres stände zu reduzieren (BAKERY et al., 2002).
ist allerdings in der breiten Bevölkerung nicht Gleichwohl ist dieses Konzept beim Marke-
wirklich bekannt. Das Thema Kupfereinsatz ting gescheitert, und auch international ist es
ist bisher kein großes Thema bei Biokunden. nur in der Schweiz gelungen, das Label „IP-
Der Biomarkt wächst von einem niedrigen SUISSE“ mit dem Schlüsselbild des Marien-
Niveau ausgehend seit Jahrzehnten und hat käfers wenigstens ansatzweise als Marke zu
inzwischen einen Flächenanteil an der deut- etablieren (vgl. Abb. 3). Der ganz große
schen Landwirtschaft von 8,9 % erreicht Marktdurchbruch ist aber auch in der Schweiz
(BÖLW, 2019). Das Merkmal „ohne cPSM“ ausgeblieben, der Bekanntheitsgrad liegt aber
wird häufiger spontan als Anforderung an immerhin bei über 80 % (gestützt, MOOG &
Landinfo 2 | 2019 15