Page 15 - Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019
P. 15

Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019





       Prof. Dr. Achim Spiller, Dr. Sina Nitzko


       Welchen Mehrwert haben Agrarprodukte ohne cPSM,

       die dennoch nicht öko sind?


       Pflanzenschutzmittel als Dauerbrenner der Umweltdiskussion

       Rachel Carlsons prominentes Buch „Silent Spring“ bildete 1962 den Startpunkt der modernen
       landwirtschaftlichen Umweltschutzdiskussion. Vom Bild der durch Pflanzenschutzmittel
       sterbenden Insekten und Singvögel, „der stumme Frühling“, ging eine große imaginäre Kraft in der
       Diskussion aus. Es wirkt bis heute nach. Die aktuelle Diskussion um das Bienensterben ist in
       gewisser Weise „Silent Spring 2.0“. Glyphosat ist heute in den Augen der Bürger in etwa das, was
       DDT in den 1960er Jahren war.



           ie Debatte um chemische Pflanzen-    Bio genannt als „ohne Kunstdünger“ (V. AL-
       Dschutzmittel (cPSM) hat also eine lange   VENSLEBEN & BRUHN, 2001; BERNARD
       Tradition. Für die Menschen ist diese Debatte   & BERNARD,  2010). Der Verzicht auf
       eng verknüpft mit der generellen Diskussion   cPSM ist neben dem Tierschutz Kernelement
       um Kosten und Nutzen der Chemieindustrie,   der Biolandwirtschaft.
       wie sie sich auch in anderen wiederkehrenden
       Debatten, wie z. B. um Plastikverpackungen,   Studien zeigen weiterhin: Chemisch-syntheti-
       zeigt. Es gibt offensichtlich „Dauerbrenner“   sche Pflanzenschutzmittel erzeugen wesent-
       der Umweltdebatte, die immer wieder auf-  lich größere Ängste als die synthetische Dün-
       kommen und so etwas wie Modezyklen       gung. Die Sorge vor Rückständen koppelt
       durchleben. Es ist daher nicht verwunderlich,   sich hier mit umwelt- und naturschutzpoliti-
       dass viele verschiedene Bevölkerungsbefra-  schen Motiven. Ergebnisse des nationalen
       gungen und wissenschaftliche Studien immer   Rückstandsmonitorings, wonach sich in den
       wieder auf die Besorgnis der Menschen ge-  meisten Kulturen nur relativ selten Rückstän-
       genüber  cPSM hinweisen  (FLORAX  et  al.,   de oberhalb der gesetzlichen Schwellenwerte   Quelle: https://en.
       2005; HWANG et al., 2005; DRESSEL et al.,   nachweisen lassen, finden in einer sensibili-  wikipedia.org/wiki/
       2010).                                   sierten Öffentlichkeit wenig Gehör.      Silent_Spring



         Bio als Profiteur der                    Warum gibt es kein Marktsegment
         Pflanzenschutzdiskussion                 zwischen Bio und Konventionell?

       Während also die mediale Aufmerksamkeit   Seit den 1960er Jahren hat es erste Versuche
       des Themas Höhen und Tiefen durchläuft, ist   gegeben, ein Marktsegment zwischen Bio
       die Besorgnis der Bürger relativ konstant   und Konventionell unter dem Begriff „Inte-
       hoch, wenn auch nicht immer gleich präsent.   grierter Anbau“ (integrated pest manage-
       Am Markt hat bisher hauptsächlich der Bio-  ment/IPM) zu etablieren. Studien zeigen,
       landbau von diesen Pflanzenschutzmittelbe-  dass es damit gelingen kann, den Pflanzen-
       denken profitiert. Er verzichtet auf cPSM,   schutzmitteleinsatz zu reduzieren und Rück-
       aber nicht auf Pflanzenschutzmittel, letzteres   stände zu reduzieren (BAKERY et al., 2002).
       ist allerdings in der breiten Bevölkerung nicht   Gleichwohl ist dieses Konzept beim Marke-
       wirklich bekannt. Das Thema Kupfereinsatz   ting gescheitert, und auch international ist es
       ist bisher kein großes Thema bei Biokunden.   nur in der Schweiz gelungen, das Label „IP-
       Der Biomarkt wächst von einem niedrigen   SUISSE“ mit dem Schlüsselbild des Marien-
       Niveau ausgehend seit Jahrzehnten und hat   käfers wenigstens ansatzweise als Marke zu
       inzwischen einen Flächenanteil an der deut-  etablieren (vgl. Abb. 3). Der ganz große
       schen Landwirtschaft von 8,9 % erreicht   Marktdurchbruch ist aber auch in der Schweiz
       (BÖLW, 2019). Das Merkmal „ohne cPSM“    ausgeblieben, der Bekanntheitsgrad liegt aber
       wird häufiger spontan als Anforderung an   immerhin bei über 80 % (gestützt, MOOG &



       Landinfo 2 | 2019                                                                                     15
   10   11   12   13   14   15   16   17   18   19   20