Page 17 - Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019
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Landwirtschaftlicher Hochschultag 2019





       trolle (Zertifizierung) angestrebt wurde, war   spiel gibt es bei den heutigen Labelansät-
       es für die Kritiker relativ leicht, das Konzept   zen, wie der Haltungskennzeichnung oder
       in der Debatte anzugreifen. Verbraucher be-  dem geplanten staatlichen Label, vier Stu-
       vorzugen eine unabhängige Kontrolle (OTT,   fen. Dies wird der Unterschiedlichkeit der
       1990). Schließlich gab und gibt es europaweit   Landwirtschaft viel gerechter als das vor-
       kein einheitliches Label für integrierte Pro-  herige „Schwarz-Weiß-Denken“. Für die
       duktion, was den Standard für internationale   pflanzliche Produktion gibt es ebenfalls
       Händler und Hersteller unattraktiv macht    neue  Labelkonzepte  im mittleren  Seg-
       (LEFEBVRE et al., 2014).                    ment, z. B. Pro Planet von Rewe, interna-
                                                   tional das UTZ/Rainforest Alliance-Label
                                                   und mit stark wachsenden Marktanteilen
         Welche Chancen hat ein neuer Ansatz       das Gentechnikfrei-Label bei Milchpro-
         am Markt?                                 dukten.

       In dem von der Universität Hohenheim koor-  3.  Die konventionelle Landwirtschaft hat
       dinierten Verbundforschungsprojekt „Land-   langsam gelernt, dass sie aus der medialen
       wirtschaft 4.0 ohne chemisch-synthetischen   Verteidigungsposition nur mit eigenen
       Pflanzenschutz“ wird im Rahmen der BMBF-    Vorwärtsstrategien herauskommt. Die
       Ausschreibung „Agrarsysteme der Zukunft“    klassische „Oberlehrer-Position“ (wir ma-
       über  ein  Landbausystem  mit  synthetischer   chen eigentlich alles richtig und erklären
       Stickstoffdüngung, aber ohne cPSM nachge-   euch das jetzt mal...) funktioniert erwiese-
       dacht. Unser Part darin ist die Analyse der   nermaßen nicht, was sich herumspricht.
       Käuferseite. Gibt es Chancen für ein solches   In Debatten wie der Glyphosat-Auseinan-
       System am Markt? Um diese Frage zu beant-   dersetzung kann man nur überzeugen,
       worten, lohnt es sich zunächst zu schauen, ob   wenn man eigene Verbesserungsstrategien
       es Unterschiede zwischen der heutigen De-   auf den Tisch bringt.
       batte und der gescheiterten Einführung des
       Integrierten Anbaus in den 1990er Jahren   4.   Ein Verzicht auf cPSM ist besser zu kon-
       gibt. Fünf Punkte fallen dabei besonders ins   trollieren als eine Reduktionsstrategie oh-
       Auge:                                       ne klare Ziele. Die Glaubwürdigkeit durch
                                                   eine unabhängige Zertifizierung sollte in
       1.  Die Vielfalt der Nachhaltigkeitsthemen   diesem Fall leichter durchführbar sein.
          am Markt. Heute wird in viel breiterer
          Form über landwirtschaftliche Produkti-  5.   Es gibt heute zumindest ansatzweise eine
          onsformen diskutiert. In den Supermärk-  Akzeptanz von Obst und Gemüse mit
          ten gibt es jenseits von Bio eine Vielzahl   nicht-perfektem Aussehen. Wird der Ver-
          von Marktsegmenten und Nischen, die      zicht auf cPSM aktiv kommuniziert, kann
          sich auf die landwirtschaftliche Produkti-  dies die Akzeptanz der „Misfits“ weiter
          on beziehen. Das größte Segment ist der   steigern (BUNN et al., 1990).
          boomende Markt der Regionalität. Die
          großen Einzelhändler haben verstanden,   Wir wollen also an der Universität Göttingen
          dass Regale mit Produkten der umliegen-  in den nächsten drei Jahren erforschen, ob
          den landwirtschaftlichen Betriebe attrak-  eine Landwirtschaft ohne cPSM im Marke-
          tiv sind und puschen das Segment. Ein   ting funktionieren kann. Die Frage können
          aufschlussreiches Beispiel für Marktdiffe-  wir heute noch nicht beantworten. Die bishe-
          renzierung ist auch der Eiermarkt, wo die   rige Forschung konzentriert sich mehr auf
          Käfighaltung weggefallen ist, aber gleich-  Bio auf der einen und auf Rückstandsfreiheit
          wohl mit Bodenhaltung, Freilandhaltung,   in den Produkten (BOCCALETTI & NAR-
          Bio, Mobilställen und Zweinutzungs-   DELLA, 2000; FLORAX et al., 2005) auf der
          (Bruder)hähnen fünf oder mehr Varian-  anderen Seite. Zum Marketing für Anbausys-
          ten in jedem größeren Supermarkt geführt   teme ohne cPSM (im Englischen: Pesticide
          werden.                               Free Production/PFP) gibt es kaum Arbei-
                                                ten. Nach bisherigem Kenntnisstand könnte
       2.  Parallel dazu hat sich das Nachhaltigkeits-  es u. a. auf folgende Punkte ankommen:
          labelling von der pauschalen Polarisierung
          von „Konventionell gegen Bio“ wegent-  Die Zahlungsbereitschaft für solche Produk-
          wickelt. Beim Thema Tierschutz zum Bei-  te wird erheblich niedriger als die für Bio sein.



       Landinfo 2 | 2019                                                                                     17
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