Page 36 - Landinfo 4_2020_Schwerpunktthema Bio und Regional
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Mitten im Leben












          Ernährung in der Krise



          Was verändert sich durch die Corona-Pandemie?



          (BZfE) – Viele Routinen unserer Ernährung und der Lebensmittelerzeugung hat die Corona-Pandemie
          mehr oder weniger auf den Kopf gestellt. Die Krise hat zu vielschichtigen Veränderungen geführt, wel-
          che eine Menge Fragen aufwerfen. Beispielsweise: Wie wandelt sich unser Essverhalten? Was bedeu-
          tet die Pandemie für die Zukunft der Gastronomie? Und wird die Gesellschaft gegenüber der  Tierpro-
          duktion kritischer? Diese und weitere Themen diskutierten rund 40 Sozial-, Kultur- und Naturwissen-
          schaftler während des Online-Forums des Netzwerks Ernährungskultur am 26. August 2020. Die Ver-
          anstaltung mit sechs kurzen Impulsvorträgen war ein gelungener Auftakt, um das Krisengeschehen
          wissenschaftlich und mit einem ganzheitlichen Blick auf das Thema Ernährung zu begleiten.


             rof. Dr. Achim Spiller von der Universität Göttingen   Folglich rückt die Ernährung durch die Krise
         Puntersuchte im April und im Juni 2020 anhand einer      wieder stärker ins Private
          Verbraucherbefragung, wie sich das Einkaufsverhalten und
          die Ernährung verändert haben: Während des Lockdowns   Das Essen außer Haus ist durch das Tragen von Masken,
          im April wurde seltener eingekauft, aber dafür wurden mehr   Hygienevorschriften und Co. komplizierter geworden. Der
          Lebensmittel auf einmal gekauft. Die Wahl der Einkaufs-  Journalist Johannes J. Arens referierte über die Entwicklun-
          stätte änderte sich nicht. Die Befragten haben mehr auf   gen, Erfahrungen, Herausforderungen und Sorgen der Köl-
          länger haltbare und regionale Lebensmittel geachtet und   ner Gastronomieszene in den vergangenen Monaten. Viele
          auch Nachhaltigkeitsaspekte wie Umwelt, Tierschutz und   Gastronomen gehen als Verlierer aus der Krise hervor. Gas-
          Klimaschutz nicht aus dem Blick verloren – das können die   tronomie hat eine wichtige Funktion für das soziale Mitein-
          positiven Entwicklungen der Krise sein. Bei der Folgebefra-  ander. Ein Wegfall bedeutet mehr als nur „dann esse ich halt
          gung im Juni zeigte sich eine leichte Tendenz zur gesünde-  zuhause“. Wie werden sich die Konzepte von Gastlichkeit
          ren Ernährung, es wurde weniger Fleisch und mehr Obst   in Zukunft verändern? Arens wagte es noch nicht, eine Pro-
          und Gemüse gegessen. Der Trend zur regionalen Versor-  gnose abzugeben, denn bislang hätten sich alle Prognosen
          gung hat sich im Juni sogar noch verstärkt. Die Befragten   als falsch erwiesen. Zum Beispiel blieben die erhofften Be-
          kauften wieder so oft wie vorher ein, jedoch hat ihr Preisbe-  sucherzahlen nach der Wiedereröffnung oft aus.
          wusstsein zugenommen.
                                                                Die Krise hat die prekären Arbeitsverhältnisse von Saison-
          Prof. Dr. Jana Rückert-John von der Hochschule Fulda stell-  arbeitskräften in der Ernte und der Leiharbeiter in der
          te verschiedene Thesen zum Wandel der Ernährung in der   Fleischindustrie sichtbar und zum gesellschaftlichen Thema
          Krise vor: Der „selbstbestimmte Nahraum“ gewinnt an Be-  gemacht. Vielen Verbrauchern waren die Arbeitsbedingun-
          deutung. Es wird mehr gekocht und mehr Wert auf Lebens-  gen vorher nicht bewusst, das hoben sowohl Rückert-John
          mittel aus der Region gelegt. Diese Entwicklungen bestäti-  als auch Spiller hervor. Jana Stöxen von der Universität Re-
          gen auch die Ergebnisse des Ernährungsreports 2020 des Bun-  gensburg machte in ihrem Vortrag ebenfalls deutlich, dass
          desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die   die Menschen- und Tierrechte in der Lebensmittelerzeu-
          Schließung der Einrichtungen der Außer-Haus-Verpflegung   gung durch die Corona-Pandemie in den Fokus geraten
          führte zu einer Zunahme des häuslichen Kochens und ge-  sind. Dabei spielt vor allem die Gesundheitsrelevanz der
          meinsamer Mahlzeiten. Für das Kochen sind nach wie vor   Ernährungsbranche eine wichtige Rolle.
          überwiegend die Frauen verantwortlich, es kommt zu einer
          Rückverlagerung in traditionelle Zuständigkeiten. Im Au-  Über Stillen in Zeiten von Corona berichtete Ina Tanita
          gust 2020 gaben Paare mit Kindern, die vor der Krise eine   Burda von der Universität Koblenz-Landau. Vor der Krise
          faire Aufgabenteilung hatten, an, dass die Frauen wieder   konnten sich Mütter in Stillgruppen treffen. Diese persön-
          mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen.                 lichen Kontakte entfallen und die Nachsorge durch die



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