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Tierzucht aktuell - Anpassung an die Herausforderungen





          Dr. Alfred Weidele


          Zuchtziele und Methoden im Wandel



          Auch wenn die Menschheit seit etwa 8.000 Jahren das Rind als Haustier, den verschiedenen Bedürf-
          nissen entsprechend - der menschlichen Ernährung und als Arbeitskraft - züchterisch entwickelt hat,
          erfuhr die Rinderzucht vor allem im späten 19. Jahrhundert und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-
          derts wesentliche Impulse. Waren die Gründungen der ersten Zuchtverbände 1882 vor allem durch
          den Zuchtrinderhandel im oberbadischen Raum Richtung Schweiz und Frankreich getrieben, haben
          sie dennoch die Grundlage für Rasseentwicklungen und Zuchtzielsetzungen gelegt. Mit der Einfüh-
          rung der Leistungsprüfung Anfang des 20. Jahrhunderts fand der Wandel von der exterieurorientier-
          ten Zucht hin zu zahlenbasierten Zuchtmaßnahmen statt. Diese erfuhr nach dem zweiten Weltkrieg mit
          der Umsetzung von populationsgenetisch basierten Zuchtmaßnahmen durchgreifende Veränderun-
          gen.

                                     Zuchtziele im Wandel                   Modellen den genetischen Anteil von dem
                                                                            Anteil an der Umwelt trennen. Dies bezog
                                   Die ersten Zuchtwertschätzungen basierten   sich in erster Linie auf Milchleistung, Fett –
                                   auf dem Vergleich der Tiere in den Herden   und  Eiweißleistung sowie -prozente.  Für
                                   zum Herdendurchschnitt und konnten im    Zweinutzungsrassen wurden erste Verfahren
                                   Laufe der Zeit durch Berücksichtigung der   der Fleischleistungsprüfung entwickelt, die
                                   Abstammungsinformationen in aufwändigen   zuerst auf Eigenleistungsprüfung, Nachkom-
                                                                            menprüfung im Felde und schließlich basie-
          Tab. 1: Entwicklung der Gesamtzuchtwerte der Rasse Holsteins      rend auf Schlachthofdaten entwickelt wur-
                                                                            den.
                                                                            Die größte grundlegende Veränderung erfuhr
                                                                            die Rinderzucht Ende der 90er Jahre, als bei
                                                                            allen wesentlichen Milch- und Zweinutzungs-
                                                                            rassen der Gesamtzuchtwert eingeführt wur-
                                                                            de. Aufgrund der routinemäßig erfassten Da-
          Quelle: Rensing, 2022                                             ten zu Zellzahl, Fruchtbarkeit, Kalbeverlauf
                                                                            und Abgang der Tiere wurde es möglich,
                                                                            1996 bereits Gesamtzuchtwerte zu entwi-
          Tab. 2: Wirtschaftliche Gewichte pro genetischer Standardabweichung (in %) für die
          einzelnen Merkmale im Gesamtzuchtwert, Gesamtzuchtwerte der einzelnen Rassen   ckeln, die Milch, Fett, Eiweiß (Fleisch bei
          im Vergleich                                                      Doppelnutzung), Eutergesundheit, Frucht-
                                                                            barkeit, Nutzungsdauer und Kalbemerkmale
                                                                            nach wirtschaftlich optimal berücksichtigten
                                                                            Gewichtungen einbeziehen konnten (Tab. 1).
                                                                            Dabei liegt das Gewicht der Milchleistungs-
                                                                            merkmale bei den Rassen inzwischen bei
                                                                            Fleckvieh 38 %, Holsteins 36 % und Brown
                                                                            Swiss bei 50 %, d.h. das Gewicht an funktio-
                                                                            nalen Merkmalen hat im Laufe der letzten
                                                                            Jahrzehnte deutlich zugenommen und hat
                                                                            inzwischen bei fast allen Rassen das höchste
                                                                            Einzelgewicht. Dabei spielen Nutzungsdauer,
                                                                            Fruchtbarkeit und Eutergesundheit die größ-
                                                                            te Rolle.
                                                                            Seit etwa 20 Jahren wurde, ausgehend von
          Quelle: ZAR, 2023                                                 verschiedenen Projekten, eine flächendecken-



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