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Tierzucht aktuell - Anpassung an die Herausforderungen





       später mit einem Fleischbullen zur Erzeugung   Abb. 4: Zuchtfortschritt unter Einsatz verschiedener züchterischer Instrumente
       eines Mastproduktes, reinrassig oder weiblich
       gesext besamt werden soll. Wie Abbildung 3
       deutlich ausführt, ist die Kombination von
       Herdentypisierung und dem Einsatz von ge-
       sextem Samen eine einfache Möglichkeit, die
       Selektionsschärfe in den Betrieben zu erhö-
       hen, und den Zuchtfortschritt deutlich zu er-
       höhen. Durch  die  gestiegene  Anzahl von
       mastfähigen Bullenkälbern und die Verringe-
       rung von  Schwergeburten (Geburten von
       weiblichen Kälbern zur ersten Geburt) kann
       zudem dem Tierschutz und einem erhöhten
       betrieblichen  Einkommen  Rechnung  getra-
       gen werden.

       Diese Entwicklung in Verbindung mit einer   Quelle: Muth, 2022
       eigenen Sexing-Infrastruktur, die es ermög-
       licht, gesexten Samen sehr günstig in der hei-  2023 erwartet. Da sich, wie verschiedene Un-  Ein ausführliches
       mischen Population zu platzieren, hat bereits   tersuchungen gezeigt haben, die genetische   Literaturverzeichnis ist
       innerhalb von 3 Jahren zu einer Vervierfa-  Reihenfolge der Tiere auch bei unterschiedli-  beim Autor erhältlich.
       chung des Einsatzes von gesextem Samen in   cher Intensität der Wirtschaftsweise nicht we-
       Baden-Württemberg geführt, der 2022 bei   sentlich ändert, ist es jedoch nicht sinnvoll,
       etwa 16 % lag. Dabei liegt der Schwerpunkt   eigene Zuchtprogramme für die einzelnen
       bei  Milch- und Zweinutzungsrassen beim   Rassen für Biobetriebe aufzulegen. Vielmehr
       weiblich gesextem Sperma auf dem Einsatz   gilt es, verfügbare Genetik und Informatio-
       der Spitze der Population, was den Zuchtfort-  nen auch in den Biobetrieben stärker zu etab-
       schritt  weiter  beschleunigt,  während  bei   lieren. Wie Abbildung 4 zeigt, sind es der star-
       Milchrassen als Partner männlich gesext vor   ke Einsatz von Deckbullen und von weniger
       allem die Rasse British Blue zum Einsatz   konkurrenzfähiger Genetik, die zu einem
       kommt, die sich trotz ihrer sehr guten Fleisch-  sehr großen Abstand des genetischen Ni-
       merkmale durch natürliche, leichtere Gebur-  veaus in konventionellen und biologisch wirt-
       ten und bessere Schlachthofergebnisse aus-  schaftenden Betrieben führen. Gerade seit
       zeichnet als die bisher breit genutzten Weiß-  der Verfügbarkeit von sehr hochwertigen
       blauen Belgier. Bei Fleckvieh wird vermehrt   Zuchtwerten für Nutzungsdauer, Fruchtbar-
       auf  männlich  gesexte,  reinerbige  hornlose   keit und Gesundheit versäumen es die biolo-
       Fleckviehbullen aus der Zweinutzung gesetzt,   gisch wirtschaftenden Betriebe, an diesem
       die sich durch leichte Geburten und hohen   aktuell sehr starken Fortschritt bei den funk-
       Fleischwert auszeichnen.                 tionalen Merkmalen zu partizipieren.

                                                In der Summe bleibt festzustellen, dass die
         Biologisch wirtschaftende Betriebe     letzten 20 Jahre deutliche Veränderungen in
         als Herausforderung                    der Ausrichtung der Zuchtprogramme und
                                                dem damit verbundenen Zuchtfortschritt ge-
       Die steigende Zahl an biologisch wirtschaf-  bracht haben. Dabei wurden die Zuchtpro-
       tenden Betrieben hat in den letzten Jahren   gramme auch für die Züchtervereinigungen
       vermehrt die Frage aufgeworfen, ob es sinn-  immer anspruchsvoller und damit teurer, was
       voll und notwendig ist, eigene Zuchtpro-  den Druck in der Branche deutlich erhöht
       gramme für Biobetriebe zu etablieren. Als   hat. Es ist davon auszugehen, dass dieser
       erste Hilfsmittel hierfür wurde bereits für die   Druck nicht ohne Folgen für die Struktur der
       Rassen Fleckvieh und Brown Swiss mit dem   Züchtervereinigungen und Besamungsstatio-
       ÖZW ein Ökologischer Zuchtwert formu-    nen bleiben wird. Dabei sind diese bisher in
       liert, der vor allem Nutzungsdauer, Frucht-  Deutschland sehr deutlich bäuerlich geprägt   Dr. Alfred Weidele
       barkeit und das Leistungssteigerungsvermö-  und  es  wird  eine  Herausforderung  für  die   Rinderunion Baden-
       gen einer Kuh (von Laktation zu Laktation)   bäuerlichen Gremien werden, den Einfluss   Württemberg e.V. (RBW)
       stärker gewichtet. Ein entsprechender Zucht-  der heimischen Landwirtschaft auf die Ent-  Tel.: 07586 / 9206 - 0
       wert für die Rasse Holsteins wird für August   scheidungen in der Rinderzucht zu halten.   weidele@rind-bw.de



       Landinfo 2 | 2023                                                                                      11
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