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Aus den Dienststellen





                                                                            ckung angestellt wurden – scheiden als Erklä-
                                                                            rungen aus.

                                                                            „An diesem Beispiel sieht man deutlich, wel-
                                                                            chen Einfluss der Mensch auf unsere Lebens-
                                                                            welt haben kann: Er kann Gutes bewirken
                                                                            und Arten wie den Tiefseesaibling erhalten,
                                                                            denn nach den Hilferufen der Berufsfischer
                                                                            in den 1950er Jahren wirkte man konsequent
                                                                            der Überdüngung entgegen, bewahrte so den
                                                                            Bodensee vor dem Umkippen und sicherte
                                                                            damit den Lebensraum der Tiefseesaiblinge.
                                                                            Die heutigen Tiefseesaiblinge stammen direkt
                                                                            von ursprünglichen Exemplaren ab. Es muss
                                                                            also einigen Tieren gelungen sein, in der Tie-
          Bild 2: Ansicht der Fischereifor-  Um dem rätselhaften Wiedererscheinen des   fe des Sees unentdeckt zu überleben“, erläu-
          schungsstelle des LAZBW mit Sitz   Tiefseesaiblings auf den Grund zu gehen, be-  tert Dr. Jan Baer von der Fischereiforschungs-
          in Langenargen am Bodensee;   fischte die Fischereiforschungsstelle über   stelle Langenargen.
          Foto: LUBW
                                   mehrere Jahre hinweg die großen Tiefen des
                                   Bodensees – und fing dabei neben dem bis zu   „Unsere Daten zeigen aber gleichzeitig auch,
                                   60 cm großen Normalsaibling (Salvelinus cf.   was  Besatzmaßnahmen  im  Bodensee  mit
                                   umbla) auch immer wieder Exemplare des   Saiblingen aus aller Welt bis in die 1990er Jah-
                                   deutlich kleineren Tiefseesaiblings (Salvelinus   re bewirkt haben: Die ursprüngliche Normal-
                                   profundus). Parallel dazu betätigten sich die   form des Saiblings aus dem Bodensee wurde
                                   Langenargener Forscher zusammen mit Kol-  fast vollständig verdrängt und größtenteils
                                   legen aus München und Norwegen als „Wis-  durch einen Mix aus Zuchtfischen ersetzt“,
                                   senschaftsdetektive“ bzw. „Archäologen“:   konstatiert Dr. Ulrich Schliewen, Fischexper-
                                   Dabei stießen sie in Museen in Stuttgart und   te der Zoologischen Staatssammlung Mün-
                                   San Francisco auf konservierte, bis zu 150   chen.
                                   Jahre alte Bodenseesaiblinge und konnten aus   Diese Gemengelage – verknüpft mit den aus
                                   alten Schuppensammlungen DNA-Fragmen-    neuen Daten und Analysen gewonnenen Er-
                                   te beider Arten gewinnen. Auf diese Weise   kenntnissen – sollte sich laut den Projektver-
                                   gelang es ihnen mit Hilfe modernster Techni-  antwortlichen auch in der weltweiten Roten
                                   ken, DNA und Gestalt von Normal- und     Liste (IUCN) widerspiegeln: Die Arbeit
                                   Tiefseesaiblingen aus historischen Zeiten zu   schlägt daher beim Tiefseesaibling die Ände-
                                   rekonstruieren.                          rung des Status von „Verschollen“ auf „Vom
                                                                            Aussterben bedroht“ sowie für den Seesaib-
                                   Die Ergebnisse des Vergleichs mit den Merk-  ling von „Nicht gefährdet“ auf „Ungenügen-
                                   malen der heutigen Exemplare wurden nun in   de Datengrundlage“ vor.
                                   der Fachzeitschrift Ecological Applications
                                   veröffentlicht. Die beiden Hauptautoren der   Doch wie geht es mit den Tiefseesaiblingen
                                   Studie, Jan Baer (FFS/LAZBW) und Ulrich   im Bodensee nun weiter? Auch dazu haben
                                   Schliewen  (SNSB-Zoologische  Staatssamm-  die Autoren der Studie eine klare Meinung:
                                   lung München), kommen darin zu einem er-  „Die Bodensee-Anrainer besetzen schon seit
                                   staunlichen Schluss: Die heutigen Tiefsee-  Jahren keine Saiblinge mehr; außerdem wur-
                                   saiblinge sind sowohl genetisch als auch in   den die fischereilichen Schonbestimmungen
                                   ihrer Gestalt mit den historischen Exempla-  angepasst. Wir sind daher zuversichtlich, dass
                                   ren nahezu identisch; gleichzeitig unterschei-  der Tiefseesaibling für immer erhalten bleibt
                                   det sich der Normalsaibling fundamental von   und hoffen, dass sich die letzten Nachkom-
                                   den früher im See vorkommenden Individu-  men der ursprünglichen Normalsaiblinge im
                                   en. Des Weiteren liefert die Arbeit klare Bele-  Lauf der Zeit durchsetzen werden.“ Eng ver-
          Dr. Jan Baer             ge dafür, dass Normal- und Tiefseesaiblinge   bunden, so Baer und Schliewen weiter, sei
          LAZBW                    nach wie vor völlig unterschiedliche Laichge-  dies mit der Hoffnung, dass der Mensch aus
          Fischereiforschungsstelle     biete und Laichzeiten besitzen. Hypothesen   den Fehlern und Erfolgen der Vergangenheit
          Langenargen              zur Vermischung beider Arten oder eine rapi-  lernen und die versteckte biologische Vielfalt
          Tel.: 07543 / 9308 - 314  de evolutionäre Anpassung – wie sie von Tei-  unter der Wasseroberfläche nie aus den Au-
          jan.baer@lazbw.bwl.de    len der Fachwelt kurz nach der Wiederentde-  gen verlieren möge. 



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